Keynote
«Fotografie ist tot - Es lebe die Fotografie!»
Zuerst einmal: Drück dir einen Kaffee raus oder schenk dir ein Bier nach – es dauert nämlich länger :-).
Bevor ich über Fotografie rede, muss ich über das schreiben, was uns Fotografen, unsere Arbeit und unseren Workflow momentan komplett reformiert bzw. unser Leben komplett auf den Kopf stellt.
Künstliche Intelligenz: Gegenwart statt Zukunft
Künstliche Intelligenz oder Artificial Intelligence, kurz KI bzw. AI, ist nicht Zukunft, sondern hier! Jetzt! Facebook-Posts mit irgendwelchen Fakebildern, Insta-Posts mit Tausenden von Likes, immer aggressiveren und hinterlistigeren Spam- und Betrugs-E-Mails im Postfach und WhatsApp mit nervigen Videos mit zwar immer besser werdenden, trotzdem eindeutig künstlichen KI-Stimmen. In den 90er-Jahren war es noch „Madame Michelle“, welche in einschlägigen Boulevardblättern inserierte, sie könne einem für so und so viele Franken die Lottozahlen wahrsagen. Jeder einigermassen wache Geist fragte sich: „Warum spielt die Olle nicht selber Lotto?“
Heute haben wir KI-generierte Werbespots auf YouTube oder Betrugsversuche per Mail. Das Prinzip ist dasselbe: Wer seinen gesunden Menschenverstand nicht einschaltet, verliert.
Technologischer Fortschritt und die Angst davor
Technischer Fortschritt gehört zur Entwicklung und Evolution unserer Spezies.
Die Angst davor – ob leider oder zum Glück – auch.
Als in den 90er-Jahren die ersten Digitalkameras auf den Markt drängten, schlugen viele Fotografen Alarm und prognostizierten: „Das ist das Ende der Fotografie.“
Hand aufs Herz: War es das?
Als 1982 von Sony/Philips die Compact Disc vorgestellt wurde, schlug die Phonoindustrie Alarm und weihte die Vinylplatte dem Tod. Zugegeben, das war sie auch manches Jahr beinahe, seit Jahren jedoch erlebt die Audiowelt eine Analogrevolution, und die Schallplatte, ja sogar die gute alte Kassette ist wieder „en vogue“, und wer auf diesen Klang schwört, gilt als Kenner oder zumindest „hipper“ Zeitgenosse.
Mögen Sie sich an die Einführung und das Obligatorium für Katalysatoren bei Autos im Jahr 1986 erinnern? Damals schlugen alle Garagisten und Autoimporteure Alarm und sahen die Automobilindustrie dem Tod geweiht. Und? Was ist passiert? Richtig – nichts!
Als infolge der industriellen Revolution die maschinellen Webstühle eingeführt wurden, kam es 1844 zum Aufstand der Weber, welche ihren Arbeitsplatz gefährdet sahen. Doch wir lernten, nicht nur mit Webmaschinen Profit zu schlagen, sondern durch diese produktivitätssteigernden mechanischen Hilfsmittel einen noch nie dagewesenen Lebensstandard zu schaffen. Das hat zwar alles nichts mit der momentan laufenden KI-Transformation zu tun, zeigt aber auf, dass wir grundsätzlich immer sehr pessimistisch auf grundlegende Veränderungen zugehen.
Angst vor Veränderung ist verständlich, aber sie darf nicht blockieren. Wichtig ist in jedem Fall, dass man aktiv agiert und nicht erst reagiert.
Teilnahmslose Meinungslosigkeit
Obwohl ich bei Weitem nicht der Einzige bin, der so denkt, mache ich mir manchmal schon Sorgen um die zunehmend grassierende Kultur der Teilnahmslosigkeit, des sich Nichtäußerns, Nichttrauens, des Sich-Stillhaltens, des goldenen Mittelwegs und möglichst keine eigene Meinung Habens – und wenn doch, dann ja nicht eine kontroverse. In gewissen meinungsspaltenden Diskussionsthemen wurde diese Gruppierung in der Vergangenheit auch „Gutmensch“ genannt. Ich frage mich: Was waren denn die anderen? Die, die eine etwas andere Meinung hatten, eine kontroverse Einstellung zum Thema? Waren das dann „Bösmenschen“? Genau diese Angst, schubladisiert zu werden, verleitet viele dazu, sich nicht mehr zu äußern oder Partei zu ergreifen. Die eigene Meinung nur noch zu denken und nicht aktiv zu vertreten. Das macht mir ehrlich gesagt bald mehr Angst als die unaufhaltsame Installation von KI in allen Lebensbereichen.
Die nicht zu stoppende Verbreitung Künstlicher Intelligenz
Künstliche Intelligenz wird nicht kommen – sie ist längst da und wird genutzt und eingesetzt, ob uns das nun passt oder nicht. Wir begegnen ihr bzw. ihrem Content teilweise offensichtlich, bestenfalls sogar klar als „mit KI erstellt“ deklariert, jedoch meistens unbemerkt und manipulativ in grafischem oder textbasiertem Content.
KI ist nach der industriellen Transformation die nun voll im Gange befindliche nächste große Wandlung. Nur wird es dieses Mal nicht nur die Art, wie wir etwas machen, beeinflussen und verändern, sondern unser ganzes Gefüge komplett reformieren. OpenAI’s ChatGPT, Boston Dynamics’ humanoide Roboter, Unitrees H1, Googles Gemini Deep Research oder Chinas DeepSeek sind nur der Anfang.
Es spielt keine Rolle, ob wir Angst vor der Zukunft haben oder ob wir im blinden KI-Hype auf sie zu- und hoffentlich nicht vorbeirasen. Kommen wird sie so oder so, und diese gewaltige Transformation wird erst mit Erreichen der Singularität von KI/AI finalisiert sein. Spekulationen darüber, wann das sein wird und was dann sein wird, würden den Umfang meines Wissens und Vorstellungsvermögens deutlich sprengen. Einige berechtigte Fragen aber bleiben:
Was machen wir mit der ganzen durch KI und Roboter eingesparten Zeit? Wie schützen wir fragile Informationen ohne Passwörter, da diese – auch wenn sie noch so komplex sind – in Sekundenschnelle KI-gestützt gehackt werden können? Wie beschäftigen wir in Zukunft Millionen von Arbeitskräften, welche durch KI ersetzt werden? Wie halten wir das soziale Gefüge aufrecht? Wie managen wir die Halluzinationen der KI bzw. ihr bewusstes Uns-Anlügen? Denn: Das tut sie – jetzt schon. Wie gehen wir damit um, dass die KI untereinander in einer Sprache und Geschwindigkeit kommuniziert, welche uns komplett unbekannt ist? Denn: Das tut sie – jetzt schon. Wie gehen wir mit der exponentiell immer steiler und schneller ansteigenden Kurve des Fortschritts und dem Erreichen der finalen Singularität um?
KI und die Auswirkungen auf die Medienbranche
Was hat das mit uns Fotografen, Designern, Illustratoren und Medienschaffenden zu tun? Wenn ich jetzt schreiben würde „eine ganze Menge“, wäre das maßlos untertrieben.
Gerade in der Fotografie gibt es absolut nützliche Softwaretools, welche uns Bilderstellern enorm unter die Arme greifen können. KI-gestützte Softwares, welche Bilddaten analysieren und sequentiell, partiell bearbeiten können, bieten spektakuläre Ergebnisse. Softwares, welche antike oder defekte, zerrissene, verblichene Aufnahmen – egal ob Film- oder Papiervorlagen – mit KI-Hilfe rekonstruieren können, schlechte Datenvorlagen ausbessern und zu kleine Auflösungen hochrechnen können, bringen die Fachwelt zum Staunen. Das alles war vor KI nicht oder – aus heutiger Sicht – in geradezu lächerlicher Qualität möglich. Leider gehen solche Softwares Hand in Hand mit Programmen, welche massiv in die Realität eingreifen; ich rede von Austauschen von Himmel, Dazurechnen von Elementen, die so nicht da sind, Erweitern von Aufnahmen, Entfernen oder Dazustellen von Menschen und Objekten etc. Einerseits eröffnet das einen schier unendlichen neuen kreativen Raum, andererseits ist es verblüffend – oder eben erschreckend – in welcher Top-Qualität solche Veränderungen oder eben Fakes heute möglich sind.
Wie fast immer: Alles hat zwei Seiten, und es kann mit recherchierten und faktengeprüften Tatsachen beidseits plausibel und nachvollziehbar als gut oder eben weniger toll argumentiert werden.
Der Wert menschlicher Kreativität in Zeiten von KI
Die Werkzeuge mögen sich verändern, die Zeit der horrend teuren Fotoausrüstungen und Prestigekameras ist vorbei – aber der Blick, die Erfahrung, die Vision und das Gespür für das Wesentliche im Bild bleiben menschlich. Das ist der Tragpfeiler für uns Fotografen. Längst sind fachgerecht aufbereitete Handyaufnahmen sogar für den Printbereich brauchbar; wer das im Jahr 2025 noch nicht checkt, hat den Gong definitiv nicht gehört. Ob das gut oder nicht gut ist – diese Frage stellt sich nicht, es ist zeitgemäß, und basta!
Auch ich setze KI-gestützte Software ein, um den Bildworkflow zu beschleunigen, was schlussendlich dem Kunden mit einem niedrigeren Preis für meine Dienstleistung entgegenkommt. Als Unternehmer sollte man dieses Denken haben – sonst wäre man ja ein Unterlasser. Ob man mit KI generative Veränderungen an seinen Bildern nun vornimmt oder nur Routinen zur Beschleunigung der konventionellen Bildbearbeitung einsetzt, bleibt jedem Fotografen selbst überlassen.
Eine Deklarationspflicht für KI-generierte oder in der Kernaussage eines Bildes bzw. Videos manipulierte Inhalte erachte ich als nötig und als transparenten Dienst am User, der einen seriösen Content Creator erkennen kann. Die Erstellung, Anwendung und Kontrolle solcher Guidelines wird die Exekutive und Justiz sicher je länger, je mehr beschäftigen. Gerade grafischer Content für Social Media mit Facebook, Instagram und TikTok tut da sehr not. Irgendwelche findigen Influencer generieren mit Hilfe von KI-Bots tagtäglich Zehntausende von Beiträgen, welche dann von angeblich Zehntausenden von Followern gelikt werden – und somit wird der User massiv mit komplett unrealen Beiträgen von unrealen Verfassern und gelikt von unrealen Mechanismen konfrontiert.
Gottseidank wachen immer mehr Menschen aus diesem Social-Media-Traum und einer Scheinwelt von Followern und virtuellen Profilen auf. Der Hype scheint sich dem Zenit also langsam zu nähern. Immer mehr realisieren, dass dieser Trend weder Nutzen noch Unterhaltung bringt, sondern schlicht und einfach nur noch nervt. Andere reden bereits vom Tod des Internets, da immer mehr Content nicht mehr menschengemacht ist und die nutzlosen, botgenerierten Seiten mit immer raffinierteren aggressiven Werbemethoden und belanglos zusammengesuchtem und arrangiertem Content noch mühsamer gemacht werden.
Werterhaltung
Wie bewahren wir in einer Welt voller generiertem Content den Wert echter, authentischer Kreativität in Text und Bild? Ich glaube, das ist die Herausforderung an den zeitgemäßen und verantwortungsvollen Fotografen.
Es geht nicht darum, der Vergangenheit nachzutrauern – sondern darum, sich weiterzuentwickeln, Position zu beziehen und Qualität, Haltung und Stil als Unterscheidungsmerkmal zu verstehen und einen eigenen Stil und Meinung zu haben.
Ich blicke gespannt und mit Zuversicht auf das, was kommt – und freue mich darauf, diesen Wandel aktiv mitzuerleben und mitzugestalten.
Jörg Haefeli, April 2025
